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Testierwille bei Liquidationsüberschuss

Kontrovers ist, welche Berechtigten einen Anspruch auf einen Liquidationsüberschuss einer Erbschaft haben.

Sachverhalt

E.B. verfasste 2015 ein Testament: Er setzte sein Patenkind bzw. Neffen als Alleinerben ein. 2020 verstarb E.B. Als gesetzliche Erben hinterliess er seine Schwester, seinen Bruder sowie seine Halbschwester.

Sein Neffe schlug die Erbschaft aus. Die gesetzlichen Erben ebenso. Es verblieb ein Liquidationsüberschuss von über CHF 80’000. Dieser stand proportional den gesetzlichen Erben gemäss erster und zweiter Instanz zu. Das Bundesgericht hingegen entschied, dass der Neffe als eingesetzter Erbe der einzige Berechtigte sei.

Gesetz

Der eingesetzte Erbe kann seinen Anteil ausschlagen. Dessen Anteil geht, wenn der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen verfasste, aus der kein anderer Wille ersichtlich ist, an die nächsten gesetzlichen Erben des Verstorbenen (vgl. Art. 572 Abs. 2 ZGB).

Schlagen die nächsten gesetzlichen Erben die Erbschaft aus, so wird sie durch das Konkursamt liquidiert (vgl. Art. 573 Abs. 1 ZGB). Ergibt sich ein Überschuss, so wird dieser den Berechtigten überlassen, wie wenn keine Ausschlagung stattgefunden hätte (vgl. Art. 573 Abs. 2 ZGB).

Streitfrage

Strittig ist, wer als Berechtigte gelten, wenn alle eingesetzten sowie gesetzlichen Erben eine Erbschaft ausschlagen und nach konkursrechtlicher Liquidation ein Überschuss verbleibt.

Erwägungen des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hielt fest, dass der Anspruch auf Liquidationsüberschuss obligatorischer Natur sei, ähnlich dem Anspruch des Vermächtnisnehmers auf Herausgabe des Vermächtnisses. Die Aufteilung erfolge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge (Urteil 5A_961/2022 vom 11. Mai 2023 E. 5.2.1).

Es gebe verschiedene Lehrmeinungen, wem der Liquidationssaldo zustehe, wenn eingesetzte sowie gesetzliche Erben ausschlagen. Nach einer Ansicht stehe dieser nur den gesetzlichen Erben zu, nach anderer Ansicht sowohl den gesetzlichen und eingesetzten Erben (E. 5.2.2).

Das Bundesgericht folgt der Minderheiten Meinung. Es nimmt bei einem Liquidationsüberschuss eine irrtümliche und daher ungültige Ausschlagung an. Dies stimme mit dem klaren Wortlauft von Art. 573 Abs. 2 ZGB überein: Die Ausschlagenden werden im Falle eines Überschusses in diejenige Situation versetzt, in welcher sie sich vor der Eröffnung der Liquidation des Nachlasses befunden haben (E. 5.4).

Der ausdrückliche Wille des Erblassers zähle, nämlich die Alleinerbeneinsetzung des Neffen. Es gelte der Grundsatz des favor testamenti. Der Erblasser habe daher die nicht pflichtteilberechtigten, gesetzlichen Erben (Geschwister) ausgeschlossen. Die Geschwister hatten im Zeitpunkt der Ausschlagung der Erbschaft keine gesetzlichen Erbrechte: Das Testament haben sie nicht angefochten. Folglich hat bei einer letztwilligen Verfügung der Liquidationsüberschuss dem eingesetzten Erben zuzustehen (E. 5.4).

Fazit

Der Wille des Erblassers ist zu beachten, auch bei Verteilung eines Liquidationsüberschusses.

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